Zalando schnappt sich About You. Die Presse feiert den Deal als großen Schritt – Kosteneinsparungen, bessere Konditionen und günstigeres Marketing werden als Highlights präsentiert. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Dieser Zusammenschluss löst keines der grundlegenden Probleme der Branche und könnte mehr Herausforderungen bringen, als er löst.
Warum der Deal für Zalando Sinn macht
Für Zalando ist die Übernahme strategisch nachvollziehbar. Sie holen sich mit About You vor allem technologische Stärken ins Haus – ein Bereich, in dem sie Nachholbedarf haben.
Doch wie bei jeder Fusion wird mantraartig von Kosteneinsparungen gesprochen, etwa durch die Zusammenlegung von Teams wie Investor Relations. Zudem gibt es die Hoffnung auf bessere Konditionen bei Lieferanten und günstigere Werbekampagnen. Klingt nach einer glatten Erfolgsgeschichte? Nicht ganz. Wenn Einsparungen bei Investor Relations schon als Erfolg gefeiert werden, zeigt das, wie sehr solche kleinen und einmaligen Effekte als Blendwerk herhalten, um die eigentlichen Probleme zu überdecken.
Auch günstigeres Performance-Marketing löst kein Kernproblem im eCommerce: Viele Händler kaufen ihre Kunden immer noch viel zu teuer ein und verpassen gleichzeitig die Chance, wirklich relevante Zielgruppen durch kreative und zielgenaue Maßnahmen zu erreichen. Ein zusätzlicher Rabatt auf ein ohnehin ineffizientes System ist letztlich nur Kosmetik, kein Gamechanger.
Tempo und Kultur: Die große Herausforderung
Ob Zalando und About You die Kurve kriegen, wird sich zeigen. Die größten Herausforderungen sind klar:
- Gegen Asien kaum eine Chance: Im Billigsegment dominieren Shein und Temu. Sie sind günstiger, schneller und setzen Standards, an die deutsche Anbieter schlicht nicht herankommen. Im SELR-Magazin haben wir schon vor über einem Jahr darauf hingewiesen. Doch statt strategisch umzudenken, waren viele große Händler damit beschäftigt, Lobbyisten zu mobilisieren, um eine politische Lösung zu erzwingen – in einer global vernetzten Welt ein naiver Ansatz, der kaum Wirkung zeigen kann. Gleichzeitig ist die Kaufbereitschaft für mittelpreisige Mode in Europa im Keller – ein Segment, in dem Zalando und About You stark vertreten sind.
- Positionierung statt Einheitsbrei: Beide Shops bieten bislang viele Überschneidungen. Kunden finden in beiden Portalen ähnliche Produkte und kaufen dort, wo es gerade billiger ist. Wenn Zalando es nicht schafft, eine klare Linie zu ziehen und zu kommunizieren, wofür welche Plattform steht, wird der Zusammenschluss mehr Verwirrung als Mehrwert stiften.
- Kulturwandel statt Alibi-Strategien: Deutsche Unternehmen stehen sich oft selbst im Weg. Statt mutig und schnell zu agieren, dominieren halbgare Initiativen, die zeigen sollen: „Schaut her, wir machen doch was.“ Doch diese Denkweise passt nicht mehr in eine Zeit, in der Schnelligkeit, Kreativität und Flexibilität entscheidend sind.
- Premium und Luxus? Eher nicht: Zalando hat angekündigt, verstärkt auf Premium- und Luxusprodukte setzen zu wollen. Doch der Plan dürfte schwierig aufgehen. Wer ein Zegna-Poloshirt für 890 Euro oder eine Cucinelli-Jacke für 7.000 Euro kauft, wird das nicht auf Zalando tun – schon gar nicht im Umfeld von Marken wie Jack & Jones. Diese Fehleinschätzung erinnert an den missglückten Versuch von VW, den Porsche 911 und den VW Golf unter einem Dach gleichzeitig zu verkaufen. Zalando steht nicht für Luxus, und das wird auch mit größerem Budget nicht einfach wegzukommunizieren sein.
Im Onlinehandel zählt der Kopf, nicht das Budget
In der Industrie entscheiden oft dicke Budgets über Erfolg, weil nur große Konzerne sich teure Forschung und Entwicklung leisten können. Im eCommerce sieht das anders aus. Hier schlägt der Kopf das Budget.
Im Onlinehandel schlägt der Kopf das Budget. Große Shops treiben keine Innovation, sie folgen ihr.
Andreas Frank, eCommerce-Multigründer
Die wirklich innovativen Ideen kommen von kleinen und mittelständischen Shops mit Umsätzen zwischen 1 und 100 Millionen. Diese Unternehmen sind schnell, flexibel und mutig – Eigenschaften, die den großen Plattformen oft fehlen, zumal viele von ihnen in ihrer DNA mehr Copycat als Innovator sind.
Lieferanten drücken? Kein Weg nach vorn
Ein oft genanntes Argument: Zalando könnte durch den Deal mehr Druck auf Lieferanten ausüben. Doch wie sinnvoll ist das wirklich? Hochwertige Marken und Lieferanten erwarten Partnerschaft auf Augenhöhe – nicht den nächsten Preiskampf. Wenn Zalando ins Premiumsegment will, passt diese Strategie schlicht nicht.
Und im Billigsegment? Auch dort wird Zalando nicht gewinnen, solange die grundlegenden strategischen Hausaufgaben nicht gemacht sind. Asiatische Anbieter wie Shein und Temu sind hier nicht nur günstiger, sondern auch schneller, kreativer und konsequenter. Ohne klare Differenzierung bleibt Zalando hier chancenlos.
Ein Wettbewerber weniger – aber mit Risiken
Ein Vorteil des Deals: Zalando hat einen Wettbewerber vom Markt genommen. Das klingt clever – solange sie es schaffen, die beiden Plattformen klar voneinander abzugrenzen. Wenn die Sortimente und Marken nicht deutlich differenziert werden, treiben sich Zalando und About You gegenseitig die Kommunikationskosten in die Höhe. Kunden verstehen dann nicht, wofür welche Plattform steht, und Zalando riskiert, mehr Verwirrung als Gewinn zu schaffen.
Warum der Deal trotzdem Potenzial hat
Trotz aller Kritik ist die Übernahme kein schlechter Zug. Zalando stärkt sich technologisch, und für About You war nach zehn Jahren Verlusten im Otto-Verbund der Punkt erreicht, an dem das Ganze mehr nach Liebhaberei als nach einem nachhaltigen Geschäftsmodell aussah.
Mit weiteren Zukäufen und Kooperationen könnte Zalando langfristig den Grundstein für ein echtes europäisches Fashion-Zentrum legen – eine klare Antwort auf die asiatischen Big Player. Wenn sich die geopolitische Lage beruhigt und die deutsche Wirtschaft durch eine klügere Politik wieder in Schwung kommt, könnte Zalando sich als führende Plattform für Mode in Europa etablieren und die Lücke zwischen Premium und Masse glaubwürdig schließen.
Jetzt liegt es an Zalando, klare Differenzierungen zu schaffen, die Kundenansprache zu verbessern und kreative Marketingstrategien zu entwickeln. Wenn sie diese Punkte konsequent angehen, könnte der Deal mehr werden als der Kauf von ein paar Tech-Assets.
Fazit: Kein Gamechanger, aber eine solide Basis
Die Übernahme von About You ist ein sinnvoller Schritt, aber kein Wendepunkt für die Branche. Zalando steht vor einem wackeligen Balanceakt: die Integration von About You stemmen, klare Positionierung schaffen und gleichzeitig im Social Commerce Fuß fassen.
Große Unternehmen haben oft den Reflex, Trends zu beobachten und erst zu reagieren, wenn der Erfolg anderer sie zwingt. Mit dicken Budgets und Werbedruck konnten sie bisher Schwächen im Timing kaschieren. Doch die Welle des Social Commerce ändert die Spielregeln. Hier zählen Kreativität, Schnelligkeit und echte Verbindungen zur Zielgruppe – und genau das kann man nicht einfach mit Geld kaufen.
Gewinner des Deals ist übrigens auch Otto. Sie haben erkannt, dass es so nicht weitergeht, und About You abgegeben, um Ressourcen freizumachen. Jetzt bauen sie Wissen im Social Commerce auf und testen mutig neue Wege.
Die große Frage bleibt, ob Zalando die Kurve kriegt. Geopolitisch ruhigere Zeiten und eine bessere Konsumlaune könnten helfen – doch ohne frische Ansätze bleibt es eine Herausforderung.
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