[Editorial] Immer wieder höre ich von Marketingberatern, Unternehmern und Dozenten an Hochschulen, dass wir angeblich „Peak Shein“ erreicht hätten, oder dass der „Billig-Spuk aus China“ bald vorbei sei. Die deutsche Wirtschaftspresse versucht auch dieses Szenario herbeizuschreiben; sie wird aber halt in China nicht gelesen.
Die Wahrheit sieht anders aus: Wir stehen in diesen Marktsegmenten gerade erst am Anfang mit Billig-Billig und Schnell-Schnell. Das mag uns nicht gefallen, aber unternehmerische Entscheidungen sollten auf Fakten und nicht auf Wunschdenken basieren.
Auch TEMUS Niedergang ist aktuell kein Thema. Herrlich, wie in manchen Publikationen die Zahlen – bewusst? – fehlinterpretiert werden. Temus Zahlen sinken nicht – das Wachstum verlangsamt sich nur etwas. Sollte jeder Raketenwissenschaftler wissen, für den sich viele in der Szene gerne halten.
Amazon reagiert jetzt auf diese Entwicklung und hat in den USA „Amazon Haul“ gestartet, um selbst im Niedrigpreissegment mitzumischen. Ein klares Signal, das auch für den europäischen Markt relevant werden dürfte.
Original Screenshot Amzon.com
Was steckt hinter Amazon Haul?
Amazon Haul ist ein neuer Sammelplatz für günstige Produkte aus den Bereichen Mode, Haushalt, Lifestyle und Elektronik. Alles bleibt hier unter 20 Dollar, die meisten Artikel liegen sogar unter 10 Dollar. Amazon zielt damit auf all jene, die beim Shoppen vor allem auf günstige Preise setzen und schnell fündig werden wollen.
Shopatainment und Social Commerce: Amazon probiert es mal anders
Mit Amazon Haul geht Amazon weg vom reinen Einkaufen und hin zum Erlebnis. Statt klassischer Sterne-Bewertungen finden sich hier Labels wie „Crazy Low Prices“ mit einem auffälligen Flammensymbol. Es geht hier nicht um nüchterne Bewertungen, sondern darum, Lust aufs Stöbern zu machen. Das ganze Ding ist darauf ausgelegt, dass man sich unterhalten fühlt – genau das, was junge Kunden anspricht und die typischen Social-Commerce-Plattformen wie Shein schon lange richtig machen.
Sicherheit und Transparenz – Ja, auch hier gilt Amazons A-bis-z-Garantie
Trotz aller Spielereien: Sicherheit und Verlässlichkeit bleiben. Amazons A-bis-z-Garantie greift auch hier, sodass keiner befürchten muss, ein Ramsch-Schnäppchen ohne Rückgabemöglichkeit zu erwischen.
Die Preise werden klar durchgestrichen angezeigt, um zu verdeutlichen, was die letzten 90 Tage so bezahlt wurde. Für ein Preissegment, das oft mit fragwürdiger Qualität kämpft, setzt Amazon damit ein klares Signal: billig, ja – aber immer noch seriös.
Versandkosten, Rabatte und Lieferzeiten – Anreiz zum vollen Warenkorb
Versandkosten entfallen ab 25 Dollar Bestellwert und ab einem Warenkorb von 50 Dollar gibt es 5% Rabatt, bei 75 Dollar sind es 10%. Rücksendungen sind bei Artikeln ab 3 Dollar kostenlos, wenn sie innerhalb von 15 Tagen erfolgen.
Die Lieferzeiten bei Amazon Haul sind allerdings bewusst anders als bei Prime: Statt am nächsten Tag kommen die Artikel hier in 1 bis 2 Wochen – ähnlich wie bei Temu und Shein, wo längere Lieferzeiten bei niedrigen Preisen akzeptiert werden.
Interessant dabei: Während Temu in Europa mit „local-to-local“-Modellen versucht, schneller zu liefern und Amazon Prime näherzukommen, geht Amazon Haul den umgekehrten Weg und zeigt, dass günstige Preise und etwas längere Wartezeiten für viele Kunden eben doch zusammenpassen.
Was heißt das nun für uns Onlinehändler?
Mit Amazon Haul macht Amazon klar, dass sie selbst im Billigsegment mitspielen – wenn auch nicht ohne Druck und sicher nicht so ganz freiwillig.
Für Händler in Deutschland, die ohne große Infrastruktur – auch in China – agieren, ist es eine Herausforderung. Ich sage es schon lange: Finger weg von Artikeln unter 10 Euro, wenn die eigene Größe der Einkaufsmacht und Logistik nicht ausreichen. Stattdessen ist der Fokus auf wertigere Produkte und attraktive Marktsegmente sinnvoller. Mach Marke, aber bitte mit Exzellenz.
Handeln soll Spaß machen und der Spaß kommt nicht mit dem Umsatz, sondern mit dem Gewinn.
Amazon Haul ist ein Vorbote des großen Sturms namens Social Commerce, der den Onlinehandel in so vielen Bereichen komplett neu aufstellen wird. Plattformen wie Temu und Shein haben das Konzept vorgemacht, und Amazon zieht nach – spielerische Erlebnisse, niedrige Preise und Social-Elemente werden bald Standard sein.
Der Markt wird sich radikal verändern, und Onlinehändler müssen sich diesem Trend stellen. Es ist Zeit, Social Commerce ernst zu nehmen.
Dein Andreas Frank
Herausgeber SELR eCommerce-Strategie-Magazin
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