[Editorial] Hoppla, unsere deutschen Autos will keiner mehr haben.
Wir sind in Deutschland schon lange nicht mehr so weit vorne, wie man sich an den Stammtischen hitzig einredet und Politiker in die Kameras posaunen. Aber vor allem die anderen sind nicht mehr so weit hinten, wie viel zu viele in Deutschland immer noch glauben wollen.
Vor zwölf Jahren geriet ich urplötzlich in eine sehr extreme Situation, welche fast in einer veritablen Kneipenschlägerei endetet. Einem hochrangigen VW-Manager und seiner stark alkoholisierten Entourage erklärte ich damals, woran und weshalb deutsche Autobauer in naher Zukunft scheitern und von den chinesischen Mitbewerbern regelrecht filetiert werden würden. Was alle am Tisch sehr gegen mich aufbrachte.
Die Arroganz der Anzugträger, was soll einer im T-Shirt schon groß wissen, fand ich amüsant. Ihre kollektive Ignoranz und Unfähigkeit, über den eigenen Horizont hinauszudenken, beängstigend.
Vor knapp fünf Jahren empfahl ich auf Facebook das Buch „Unsere asiatische Zukunft“ von Parag Khanna zu lesen. Dort stand damals bereits drin, was wir heute erleben. Es wäre noch Zeit gewesen, angemessen zu reagieren.
„Erzähl doch mal“ und „sag mal, was wichtig ist da drin“ waren die Reaktionen auf meinen Buchtipp.
Nein, man kann 500 Seiten nicht in ein paar wenigen Sätzen so wiedergeben, dass es beim Gegenüber fruchtet; auch wenn es einem getAbstract und deren billige Kopie Blinkist vorgaukeln. Man mag damit lediglich beim Smalltalk mit anderen Nichtswissern mithalten können. Echtes Wissen und ein Gespür, welches die Basis für kluge Entscheidungen sind, erlangt man damit nicht.
Hier im eCommerce-Strategiemagazin SELR schreibe ich viel über die Erfolgsmechanismen chinesischer Unternehmen und thematisiere dies auch in meinen Vorträgen und Webinaren. Das bringt mir in Deutschland immer wieder den Vorwurf ein, ich sei viel zu chinafreundlich und ein echter China-Fanboy. Mittelalterlicher Unsinn, als man den Überbringer schlechter Nachrichten noch köpfte.
Das Bild der Deutschen über China ist sehr naiv und rückständig und auch etwas vom Trotz geprägt.
Andreas Frank, eCommerce-Mentor
Ja, China kann viel billigen Schrott produzieren. Das können wir in Deutschland übrigens auch. Aber China hat den Ehrgeiz, den wir in Deutschland verloren haben, die Dinge besser zu machen und zu perfektionieren. China kann in sehr vielen Bereichen absolute Qualität produzieren und sie haben inzwischen ein richtiges eigenes Engineering. Auch wenn Hinz und Kunz das hierzulande nicht wahrhaben wollen.
Für uns Onlinehändler ist der Zug noch nicht abgefahren
Wir haben so viele Stellschrauben, die uns erfolgreich machen können. Um aber in den nächsten Jahren wirtschaftlich nicht komplett gegen die Wand zu fahren, sollten wir weniger an alten Stammtischparolen festhalten, unsere Arroganz ablegen und endlich respektieren, dass andere Eltern auch schlaue Kinder haben.
Wir müssen jetzt handeln und lernen, was chinesische Händler wie beispielsweise Temu und Shein derzeit schlichtweg richtig machen und was wir dagegen halten können:
- Fokussierung auf Social Commerce und Gamification
Deutsche Händler setzen oft nur auf konventionelles Online-Shopping. Temu und Shein bspw. gehen darüber hinaus und verknüpfen ihre Plattformen mit Mechanismen, die Interaktion und Engagement fördern. Spielerische Elemente, Rabatte durch Empfehlungen und soziale Features binden Kunden und sorgen dafür, dass sie regelmäßig zurückkehren. Diese Ansätze heben sie ab und sind eine große Stärke.
- Effizienz in der Logistik
Während deutsche Händler häufig über hohe Versandkosten und lange Lieferzeiten klagen, haben Plattformen wie Shein diese Hürde gemeistert. Sie verstehen es, die gesamte Wertschöpfungskette zu optimieren und logistische Prozesse so effizient zu gestalten, dass Kunden aus aller Welt in kürzester Zeit beliefert werden. Und das hat nichts mit dem Weltpostverein zu tun, den deutsche Unternehmer immer noch gerne als Schuldigen anführen. Es gibt diese Bevorzugung der chinesischen Pakete nicht mehr! Eine Lektion, die deutsche Unternehmen erst noch verinnerlichen müssen.
- Eigenmarken und USPs schaffen
Eigenmarken und klare Alleinstellungsmerkmale sind ein entscheidender Weg, um sich vom Wettbewerb abzuheben und Kunden langfristig zu binden. Plattformen wie Temu bearbeiten zwar den Markt über den Preis und die Masse an Produkten, aber gerade das zeigt, wie wichtig es ist, sich durch eigene, unverwechselbare Marken zu differenzieren. Deutsche Händler verfallen oft in den Preiskampf mit handelsüblicher Ware, ohne sich durch einzigartige Produktvorteile abzugrenzen. Um langfristig erfolgreich zu sein, brauchen wir mehr Mut zu Eigenmarken und klaren USPs, die den Kunden echten Mehrwert bieten und die Konkurrenz hinter sich lassen.
- Weltweite Absatzmärkte als Priorität
Viele deutsche Händler glauben immer noch, dass es reicht, ein deutsches Unternehmen zu sein, um Erfolg zu haben. Doch die Wahrheit ist: Das „Made in Germany“-Siegel hat in vielen Ländern längst nicht mehr den Glanz vergangener Tage. Während Marken aus anderen Ländern – besonders aus Asien – immer mehr an Beliebtheit gewinnen, verharren deutsche Händler oft in ihrer Blase und verlieren den Anschluss. Chinesische Unternehmen denken längst global, sie sehen die ganze Welt als ihr Spielfeld und passen ihre Produkte und Strategien gezielt den jeweiligen Märkten an. Deutsche Händler sollten endlich aufhören, zu glauben, dass ihr Heimatmarkt ausreicht oder dass es ihnen an Möglichkeiten fehlt, international zu expandieren.
Heute ist es auch für kleine und mittlere Unternehmen viel leichter geworden, in neue, weiter entfernte Märkte zu gehen. Die Technologie, der Zugang zu internationalen Plattformen und die Nachfrage sind vorhanden – es fehlt nur der Mut, die richtigen Schritte zu gehen. Und ein entscheidender Punkt: Der Reflex, bei Internationalisierung immer zuerst an die USA zu denken, ist veraltet und falsch!
Die Zukunftsmärkte für Wachstum und Einfluss liegen heute in Asien und im Nahen Osten. Während deutsche Unternehmen oft die USA als Traumziel sehen, hat sich die Welt weiterentwickelt, und das Wachstum passiert längst anderswo.
Die deutsche Wirtschaft steht auf dünnem Eis
Die Zeiten, in denen deutsche Produkte von allein erfolgreich waren, sind vorbei. Der Wind hat sich längst gedreht – deutsch zu sein, das ist kein Selbstläufer mehr. Wer weiter auf veraltete Lorbeeren vertraut und dabei die riesigen Chancen in den globalen Märkten übersieht, wird bald die Quittung bekommen. Wenn du jetzt nicht anfängst, deine Produkte internationaler aufzustellen und Märkte wie Asien oder den Nahen Osten ins Visier zu nehmen, wird der globale Wettbewerb dich überholen.
Jetzt ist die Zeit, die Scheuklappen abzulegen, die Stärken der internationalen Mitbewerber zu respektieren und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen – nicht, um zu kopieren, sondern um smarter zu werden. Die Welt wartet nicht auf uns. Es ist höchste Zeit, die Karten neu zu mischen und durchzustarten, bevor der Markt uns eiskalt abhängt.
Verlasse deine Komfortzone, setze auf die aufstrebenden Märkte von heute und morgen, und handle jetzt, bevor dir der Markt endgültig davonläuft.
Dein Andreas Frank
Herausgeber SELR eCommerce-Strategie.Magazin
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